Zu den Fresken von Werner Hartmann in der Friedhofhalle in Emmen

Ein Freskenzyklus in Emmen

Im Laufe dieses Sommers wurde die Friedhofhalle von Emmen bei Luzern mit einem Zyklus von Fresken ausgemalt, der zu den besten Leistungen der modernen religiösen Wandmalerei in der deutschen Schweiz gehört. Der junge Maler Werner Hartmann aus Emmenbrücke ist damit in die vorderste Reihe unserer religiösen Maler gerückt, ähnlich wie Anton Flüeler von Stans durch seine Würenloser Kirchenfenster mit einem Schlage bei allen Freunden moderner relligiöser Kunst in der deutschen Schweiz bekannt wurde. Die eidgenössische Gleyre-Stiftung hat auf den Antrag des Bildhauers Hermann Hubacher (des Trägers des diesjährigen Mussolini-Preises für moderne Plastik) die Ausführung des grossen Werkes mit einer Subvention ausgezeichnet.

An der Rückwand der vor Jahren vom Luzerner Friedhofarchitekten Ammann erstellten Halle waren dreizehn Felder mit Bildern aus dem Leben des Erlösers zu füllen. Gewählt wurden als Themen: Weihnacht, Erweckung der Tochter des Jairus, Auferweckung des Lazarus, Ölberg, Christus vor Pilatus, Geisselung, Kreuzigung (als zentrales Bild), Pietà, Grablegung, Auferstehung, die Frauen am Grab, Emmaus, Noli me tangere. Das sind teilweise recht komplizierte Vorwürfe. Werner Hartmann reduziert die Szenen jeweilen auf zwei bis drei Figuren und verzichtet ganz auf räumliche Andeutungen. Er verfällt aber nirgends in schwächliches Archaisieren, sowenig wie er sich etwa an das räumlich und thematisch naheliegende Beispiel Hans Stockers in der Luzerner Karlkirche anlehnt. Der neutrale Hintergrund bindet die Gruppen zum Fries zusammen. Links ist dieser Fond licht grünblau, gegen die Mitte hin verfinstert er sich bis zum Mittelbild der Kreuzigung. Vom Auferstehungsbild an wird der Hintergrund entmaterialisiert blau. Kräftige Farben, ungemein kulturvoll abgestimmt, geben jeder Gruppe ihren eigenen Charakter, stehen aber gleichzeitig mit der Fortsetzung in klug errechneter Bindung. Aber alles ist nicht Mathematik, Berechnung, sondern Belebung, Empfindung. Unvergesslich ist da etwa der Kopf des Thomas beim „Noli me tangere“: ein verschüchterter Greis, der nun sein vermessenes Wort wahr werden sieht.

Vor bald zwei Jahren erhielt der jetzt 35-jährige Künstler den Auftrag für diese Ausmalung. Er konnte das Werk richtig ausreifen lassen – was meist bei derartigen Aufträgen leider nicht der Fall ist. Son entstand etwas Durchdachtes, eine lineare und farbige Komposition von ungewöhnlicher Straffheit. Sie überrascht besonders bei diesem Künstler, der bis jetzt vor allem durch zarte Bildchen aus Marokko bekannt geworden war. Niemand hätte diesem Maler derart ausgesprochene Monumentalwirkung zugetraut, wie er sie nun in Emmen zu entfalten wusste. Die Freskentechnik ist in der Weise der alten Italiener gemeistert, also temperaartig, kräftig deckend, ganz anders als etwa die oben bereits genannten Fresken Stockers in Luzern.

Es verlohnt sich für den Kunstfreund, eigens von Luzern nach Emmen hinaus zu fahren. Heute, wo wiederum eine Welle alberner Angriffe gegen alle unkonventionelle Kirchenkunst brandet (angeblasen von einem kuriosen Genfer Blättlein), verdient es, hier festgehalten zu werden, dass die durchaus modernen und sehr selbständigen Fresken Werner Hartmanns bei den Bestellern, dem Gemeinderat von Emmen, sowie beim einfachen Publikum ungeteilten Anklang finden.  L.B.

 

Prof. Linus Birchler, Kunsthistoriker, ETH Zürich, in: Neue Zürcher Nachrichten, 15.10.1938, wieder abgedruckt in: Vaterland, 22.10.1938

Ein Freskenzyklus in Emmen. Die Friedhofhalle von Emmen bei Luzern hat eine künstlerische Ausgestaltung erfahren, die in ihrer Bedeutsamkeit Arbeiten verwandten Charakters in näherer oder weiterer Umgebung hoch überragt. Werner Hartmann, der zumeist in Paris lebt, hat dieses Werk im Laufe zweier Jahre geschaffen, die erfüllt waren von Studien und tiefgreifenden Vorbereitungen. Der inhaltliche Vorwurf zu den dreizehn Bildern dieser Friedhofhalle ist die Passion. Je drei äussere Felder dieses Frieses von dreizehn an einer Wandflucht angeordneten Rundbogenbildern bedeuten inhaltlich wie formal ein An- und Abklingen, während die fünf Mittelbilder, begrenzt durch die Darstellungen von Ölberg und Auferstehung, um eine überhöhte, rechteckig abgeschlossene Kreuzigung gruppiert, Christus vor Pilatus, Geisselung, Pietà und Grablegung geben. Vor lichterem und satterem blauen Grund spielen die malerisch noch bewegten, die stellenweise lyrisch und erzählerisch gehaltenen Szenen auf den Aussenfeldern. Gegen die Mitte hin aber steigert sich der künstlerische Ausdruck in schlagender Art: da wird der neutrale Malgrund ein düsteres Grau, Graulila und Schwarz, und vor ihm heben sich Szenen von dramatischer Wucht wie die Geisselung ab, treten so eindrücklich ernste und bedeutsame Gruppen wie die der Pietà und Grablegung heraus.

Hier sind die darstellerischen Mittel vollkommen und so beherrscht, dass der Betrachter einen völlig eindeutigen Eindruck erhält. Ganz aus der Fläche entwickelt, wie es das Fresko verlangt (das hier übrigens in der echten alten fresco buono-Technik angewendet ist), fügen sich die in klaren, eigenwilligen Umrahmungen gegebenen, oft durch schwarze Konturen verstärkten Formen zum Bilde. Dunkel und schwer die Farbe der Trauer, gebrochen durch das reine Weiss; ein Bildausdruck stärkster und persönlichster Art wird dadurch erreicht. Nicht weniger überzeugend die Grablegung und, Prüfstein des ganzen Werkes, die Kreuzigung, ein Bild von verhaltener Grösse und klarer Schönheit der künstlerischen Formulierung.

 

Neue Zürcher Zeitung 1.12.1938

 

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